Fehlende Übergangsrituale kennen lernen – Gründe fürs Heiraten

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Gründe fürs Heiraten
Was den Drehbuchschreibern eines gemeinsamen Lebensskriptes so ungemein zu schaffen macht, sind die fehlenden Übergangsrituale von einem Lebenskapitel zum anderen. In einer Zeit, in der Rituale und Symbole unter den jungen Leuten Hochkonjunktur haben – zumindest in der Welt der Musik, der Kunst, des Sportes, der Freizeit, der Medien -, wird dieser Mangel in der Beziehungswelt umso schmerzlicher vermisst. Zwar gibt es den Freundschaftsring für die noch lockere Beziehung, aber welche Zeremonie, welches Ritual, welche Leier begleitet beispielsweise das erste Zusammenziehen oder das spätere Zusammenbleiben? Eine Verlobung gibt es nur noch in seltenen Fällen.

Riten und Symbole jedoch markieren einen neuen Ausgangspunkt, messen Vereinbarungen einen verbindlicheren Charakter zu, verleihen der Beziehung einen anderen Status als vorher – nach innen wie nach außen. Ohne sie sind so manche Lebensformen weder sozial eindeutig bestimmt noch für die Betroffenen selbst klar geregelt. Wenn zwei zusammenziehen, was bedeuten die beiden einander? Sind sie füreinander wie bisher gute Freunde oder schon feste Partner? Verstehen sie sich als Lebensgefährten oder doch nur als Lebensabschnittspartner? Sind sie einander locker verbunden, so gut wie verlobt oder fast schon verheiratet? Leben sie alternativ zur Ehe oder vorbereitend auf die Ehe?

Das Wort Symbol kommt aus der griechischen Sprache und bedeutet das Zusammenfügen von zwei Teilen zu einem Ganzen. Wenn im alten Griechenland zwei Partner einen Vertrag ausgehandelt hatten, der für lange Zeit gelten sollte, auch noch für die Rechtsnachfolger der beiden Vertragspartner, konnten sie eine Tontafel nehmen und sie einmal durchbrechen. jeder Vertragspartner bekam nun eine Hälfte der zerbrochenen Tafel. Wenn sich die Vertragspartner oder ihre späteren Rechtsnachfolger ausweisen wollten, brauchten sie nur ihre jeweilige Hälfte mitzubringen: Zusammen mit dem Gegenstück bildeten beide Teile wieder ein Ganzes. Diesen Vorgang nannten die Griechen Symbolon, das Zusammengefügte.

In unserem Sprachgebrauch meint das Symbol ebenfalls das Zusammenkommen von zwei Teilen zu einer Einheit. Das eine ist etwas Sichtbares, das andere etwas Unsichtbares. Die Liebesbeziehungen der Menschen kennen eine Fülle solcher Symbole: die Umarmung, der Händedruck, der Kuss, die Rose, der Ring. Sie alle drücken sichtbar zugleich etwas Unsichtbares aus: die Liebe zweier Menschen zueinander.

Rituale sind dort angesiedelt, wo Neues auf Altes, Unbekanntes auf Bekanntes trifft – also im Grenzland. Über die Grenzen hinweg eröffnen sie Wege zu Neuem mit all den Risiken und Wagnissen. In solchen Grenzsituationen brauchen wir Rituale. Sie entsprechen unserem Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität, nach Ordnung und Wiederholung, nach Zugehörigkeit und Verbindlichkeit. Alle Kulturen haben bestimmte Initiations- und Übergangsriten entwickelt, die die großen Übergänge menschlichen Lebens wie Geburt, Hochzeit, Sterben und Tod gesellschaftlich regeln. Für die kleineren Zwischenschritte fehlen uns weithin solche histo-risch gewachsenen Riten und Symbole.

Das gilt heute insbesondere für den ständig länger werdenden Beziehungsverlauf mit seinen abgestuften Lebens-abschnitten. Wenn zwei junge Menschen sich kennen und lieben lernen, entwickeln sie als Frischverliebte ganz spontan für ihre noch junge Beziehung bestimmte Formen, z.B. bei der Begrüßung oder beim Abschied. Kommt ihre Freundschaft in die nächste Phase einer relativ festen Beziehung, brauchen sie zusätzliche Symbole und Rituale, um den neuen Grad an Verbindlichkeit einander und anderen dokumentieren zu können.

Dagegen kennt die Ehe als möglicher nächster entscheidender Lebensabschnitt mit der standesamtlichen und vor allem kirchlichen Hochzeit eine Vielfalt an Symbolen, Ritualen und Riten. Wenn zwei Menschen sich endgültig fest-machen, wollen sie diesen Schritt auch festlich begehen. Eine solche Feier vergegenwärtigt das Vergangene und das Zukünftige: Es wird Abschied genommen vom bisherigen Leben und zugleich mit den Glück- und Segenswünschen der Blick nach vorne gerichtet. Am Übergang zur Ehe greifen noch herkömmliche Rituale und Symbole, ja sie scheinen heute geradezu eine Renaissance zu erleben. Wer sie vollzieht, setzt deutliche Zeichen: Gegen alle Risiken und auch Warnungen stehen wir beide auf der Seite der Hoffnung und wollen dort auch bleiben!

Aber schon beim Übergang in den Lebensabschnitt Elternschaft fehlen uns weitgehend ähnliche sinnstiftende Zeichen und Handlungen. Dem jungen Elternpaar stehen in seiner völlig neuen Lebenssituation so gut wie keine geeigneten Rituale zur Verfügung. Schwangerschaft und Geburt sind Höhepunkte im Leben junger Eltern. Entsprechend wollen sie gedeutet und gefeiert sein. Entfällt die Taufe als christliches Lebensfest, bleiben die Eltern mit ihrer Freude allein – ohne jede Feier.

Ein ähnliches Defizit lässt sich beim Scheitern einer Beziehung feststellen. Für diese schwierige Trennungssituation mangelt es an bestimmten Regeln und Ritualen, die den Abschied ermöglichen oder vielleicht sogar erleichtern helfen. Wie können Paare menschlich so fair auseinander gehen, dass sie einander nicht unnötigerweise schwere Demütigungen und Verletzungen zufügen? Der Verlust eines Partners hat – zumindest vorübergehend – eine schwere Identitätskrise zur Folge. Der neue Status als Alleinleben- de(r) muss erst noch verarbeitet und angenommen werden.

So verbleiben die Beziehungen junger Paare gerade an den wichtigen Übergängen in einem weithin ungewissen Zustand. Ihre Liebesgeschichte braucht jedoch an solchen Knotenpunkten oder Lebenswenden sichtbare Zeichen der Vergewisserung für etwas so Unsichtbares, wie es die Liebe nun einmal ist. Ohne entsprechende Symbolhandlungen kommen wir nicht aus. Sie sind bedeutend aussagekräftiger als das direkte Wort. Sie können unsere insgeheimen Gefühle, Empfindungen, Sehnsüchte und Wünsche, die sich kaum in Worte fassen lassen, in angemessener Weise zum Ausdruck bringen. Wir Menschen sind Lebewesen mit Leib und Seele, mit Herz und Gemüt. Unsere Liebesbeziehungen gehen weniger über den Kopf, vielmehr über Leib und Sinne. Liebende sind auf äußere Formen, Symbole und Rituale angewiesen. Sie haben gemeinschaftsstiftende Wirkung! Ihnen kommt eine verbindende wie verbindliche Kraft zu. Weil in den instabilen Verhältnissen unserer Zeit so vieles zu zerbrechen droht, werden wieder neue (und auch alte) Werte, Riten und Mythen gesucht.