Der lange Weg zur Beziehungsentscheidung – heiraten oder nicht

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Beziehungsentscheidung
Mit der Möglichkeit einer weithin freien und eigenverantwortlichen Lebensgestaltung erhöhen sich die Ansprüche und Anforderungen an die jungen Menschen, in gleichem Maße allerdings auch der individuelle Leistungs- und Erfolgsdruck. Konnten früher Misserfolg und Scheitern zur eigenen Entlastung den verantwortlichen Instanzen in Familie, Schule, Ausbildung und Beruf zugeschoben werden, so erleben wir heute Fehlschläge und Enttäuschungen als mehr oder weniger selbst verschuldet. Was einst als Schicksalsschläge gottgegeben hingenommen wurde, schreiben wir uns nun selbst als persönliches Versagen oder Fehlverhalten zu. Die neu gewonnenen Freiheiten und Freiräume sind kaum ohne persönliche Risiken und Wagnisse zu haben.

Das trifft in besonderer Weise auf die Beziehungsentscheidung junger Paare zu. Der Weg dahin wird länger und schwieriger und ist mit vielen Wenn und Aber gepflastert. Heute können junge Leute ihre Partnerin bzw. ihren Partner mehr oder weniger frei wählen und sich ohne Druck gesellschaftlicher Konventionen und Traditionen füreinander entscheiden. Niemand wird heute mehr verheiratet; heute heiratet man! An die Stelle des einstigen Wahl- und Bestimmungsrechtes der Familie ist die Wahl- und Entscheidungsfreiheit der Partner getreten. Alle Standes-, Herkunfts und Konfessionsschranken sind mehr oder weniger gefallen. Bis auf wenige Ausnahmen kann jede(r) jede(n) heiraten. Die Partnerwahl ist in der Regel frei und uneingeschränkt.

Der Kaffee sagt mehr als Worte
In arabischen Ländern, wo die Eltern auch heute noch den Ehemann für die Tochter aussuchen, kann die Tasse Kaffee Gefallen und Missfallen bekunden. So wird für den Auserwählten bei der ersten Einladung der Kaffee von der Tochter zubereitet und serviert. Fehlt der Schaum auf dem Kaffeegetränk, gilt das als sicheres Zeichen, dass ihr der zukünftige Gemahl nicht genehm ist.
Die Freiheit der Wahl wiederum macht diese Wahl auch so schwierig! Wählen bedeutet immer auch sich entscheiden müssen – oft genug zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten. Die Entscheidung für eine bestimmte Lebensform lässt – zumindest vorläufig – keine andere mehr zu. Die verbindliche Zusage für einen Menschen schließt Absagen an andere Menschen ein – jetzt und zukünftig. Im Pro und Contra, im Für und Wider erfahren junge Paare ganz konkret die Zwiespältigkeit menschlicher Entscheidungsprozesse. Die freie Partnerwahl macht ihnen das persönliche Risiko ihrer Beziehungsentscheidung erst richtig bewusst.

Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass so völlig frei die Partnerwahl auch heute noch nicht ist. Sie kennt nach wie vor gewisse Grenzen. Bei aller gesellschaftlichen Mobilität spielen Faktoren wie Milieu und Hierkunft, Status und Zugehörigkeit, Schulabschluss und Bildungsgrad weiterhin eine maßgebliche Rolle bei der Partnerentscheidung. Auch in unserer Zeit finden sich junge Paare vorrangig aus gleichen oder angrenzenden sozialen Schichten. Sie sprechen die gleiche Sprache, gehen gleichen oder ähnlichen Interessen nach und stimmen nicht selten in ihrer Lebensart überein. Gleich zu gleich gesellt sich gern, diese alte Volksweisheit ist durchaus heute noch aktuell.

Liebe symmetrisch
Den Zusammenhang von Bildungsstand und Partnerwahl in den vergangenen fünfzig Jahren untersuchten die Bremer Sozialwissenschaftler Andreas Timm und Hans- Peter Blossfeld. Immer mehr Menschen gehen demnach die Ehe mit einem Partner ein, der einen ähnlichen Bildungsstand hat. Gemeint ist: Klaus und Heidi haben ihr Studium abgeschlossen und heiraten.
Dieter und Petra gehen zum Standesamt, nachdem sie ihre Lehre absolviert haben. Von den 1959 bis 1963 Geborenen heiraten rund 71 Prozent jemanden, der das gleiche Bildungsniveau hat. Das war nicht immer so. Etwas mehr als die Hälfte der Frauen der Jahrgänge 1919 bis 1923 haben, so Timm und Blossfeld, aufwärts geheiratet, Männer dementsprechend abwärts. Die Zahl der Hochzeiten von Partnern mit gleicher Bildung stieg umso mehr, je stärker Frauen sich im Laufe der Jahre eine höhere Bildung aneigneten.

Um das Risiko der Partnerwahl möglichst gering zu halten, begeben sich viele Paare in eine längere Warteschleife und zögern ihre Beziehungsentscheidung hinaus. Man braucht heute viel Zeit zur gegenseitigen Prüfung und Vergewisserung. Angesichts der dramatischen Veränderungen in den persönlichen Lebensläufen und Lebenssituationen ist die abwartende Haltung junger Menschen nur allzu verständlich.

Menschliche Beziehungen – vor und in der Ehe – sind jedoch nicht bis ins Letzte überprüfbar. Ein Restrisiko bleibt immer bestehen. Es kann gemindert, aber nicht völlig ausgeschlossen werden. Gelingen und Scheitern von Liebesbeziehungen – beide Möglichkeiten liegen heute so nahe beieinander wie niemals zuvor. Wer sich auf das Wagnis der Liebe einlässt, mutet sich und dem Partner bzw. der Partnerin einiges zu. Die Sprache macht uns darauf aufmerksam: In Zumutung steckt das Wort Mut!